Mittwoch, 10. Juni 2015

Das halbe Jahr bis zur Geburt & die Geburt

In der Zeit bis zum Kaiserschnitt haben wir angefangen uns intensiv mit dem Thema Gastroschisis zu befassen. Möglicherweise haben wir auch viel zu viel gelesen und Dinge gesehen, die wir eventuell besser nicht gelesen oder gesehen hätten. Aber unsere Neugierde war einfach zu groß. Mein Partner konnte sich die Bilder, die man bei der Google Bilder Suche findet ohne Probleme angucken. Ich musste mich erstmal übergeben. Das liegt aber nicht daran, das es so furchtbar schrecklich aussieht, sondern weil ich zu dem Zeitpunkt viel zu zart besaitet war. Deswegen war ich auch sehr froh das wir unseren Sohn bei der Geburt nur abgedeckt betrachtet haben. Diese eine Sekunde, in dem ich ihn das erste Mal sah, war als würde ein Stromschlag durch den Raum gehen. All die Angst, die Zweifel, die Wut auf diese Krankheit...Alles war weg. Da war nur noch Liebe, sehr tiefe Liebe. Ich will nicht sagen, das ich mich nicht auf unseren Sohn gefreut hätte, aber diese Freude stand einfach nicht im Vordergrund.

Wir waren nicht diese Eltern, die glücklich zu irgendwelchen Geburtsvorbereitungskursen gingen. Wir mussten auf nichts vorbereitet werden, wir wussten, an Tag X wird er auf die Welt geholt. Mehr brauchten wir zu dem Thema nicht wissen.


Wir saßen nicht hypernervös im Wohnzimmer, nachts um 2 Uhr und zählten die Abstände der Wehen und wir wurden auch ganz sicher nicht von einer geplatzten Fruchtblase im Supermarkt an der Fleischtheke überrascht. Nein, wir wussten, wann, wie und wieso.


Ich bestand wenigstens darauf das Kinderzimmer vorzubereiten, obwohl mir von meinem Umfeld immer wieder ins Gedächtnis gerufen wurde, dass das Kind ja auch noch sterben kann und ich das lieber lassen soll. Wissen Sie, es gibt nichts schlimmeres, als ein krankes Kind auszutragen und die ganze Zeit vorgesetzt zu bekommen das es gewisse Risiken gibt. Selbst wenn ich mich wie eine normale Schwangere verhalten wollte, niemand hat mich gelassen. Gesprächsthema Nr. 1 war einfach das kranke Kind, mögliche Risiken und wie man dann damit umgeht. Deswegen war ich so froh das ich kurz vor Ende der Schwangerschaft auf die Facebookgruppe gestoßen bin. Wochenlang hab ich mir die Finger wund gesucht und nun gab es endlich eine Gruppe mit betroffenen Eltern und inzwischen Erwachsenen mit einer Gastroschisis. Es tat unglaublich gut, mal ein Stoppschild vorgesetzt zu bekommen und zu hören "Ja du hast Angst, ja wir können das verstehen, aber in seltenen Fällen wird es wirklich so heftig das man jahrelang im Krankenhaus sitzt." Klar kann das passieren, wie schon zu Anfang erwähnt - eine Gastroschisis ist so individuell wie jedes Kind. Das eine Kind geht mit 3 Wochen nach Hause, das nächste erst mit einem halben Jahr.


Der Nahrungsaufbau kann alleine schon Wochen dauern. Die Gastroschisis ist im Regelfall schnell beseitigt. Entweder kann das Kind direkt nach der Geburt operiert werden (so wie unser Sohn) oder der Darm wird in einen sterilen Plastiksack (Silo) gelegt, so wird dem Darm die Möglichkeit gegeben selbst und ganz natürlich in den Bauch zu rutschen. Unsere Chirurgin fand diese Art und Weise - also die Methode mit dem Silo- am "schönsten" Aber bei unserem Kleinen ging das nicht.


Er hatte mehrere Darmverschlüsse als er auf die Welt kam, musste direkt intubiert und unter Narkose gesetzt werden. Sein Dickdarm war die meiste Zeit der Schwangerschaft nicht gut genug versorgt und deswegen auch sehr zurückgebildet. Ungefähr die Breite eines halben kleinen Fingers. Während der Dünndarm gut genug ausgebildet war.


Unsere Komplikation hieß dann der Dünndarmstoma. Der Bauch war zwar zu, aber der künstliche Darmausgang blieb. Wissen Sie, wie man sich als Mutter fühlt? Man kommt gerade aus dem Aufwachraum und verschläft die meiste Zeit des Wartens. Immer fragt man, wann kommt das Kind aus dem OP aber keiner kann einem die Antwort geben. Nach 5 Stunden kommt die Chirurgin und erklärt einem, das er ohne Stoma erstmal nicht leben kann. Und in diesem Moment schießen einem hundert Fragen durch den Kopf.


Sie mussten nicht viel Darm entfernen, nur zwischen 7-20cm , eine genaue Angabe ist mir irgendwie entfallen. Sie haben Bauchspeicheldrüsengewebe entfernen müssen, aber ansonsten ging es ihm gut. An seinem ersten Lebenstag konnte ich ihn nicht auf den Arm nehmen oder anschauen. Ich war zwar auf der Intensivstation, aber man hatte ihn mit dem Gesicht von mir weg gelegt (nicht aus Absicht!) und so fuhr ich unverrichteter Dinge wieder in mein Zimmer.


Am zweiten Tag war er schon wach und extubiert, er wollte alleine atmen und dann durfte ich ihn das erste Mal tragen. Was ist das für ein Gefühl? Schwer zu beschreiben. Es ist was ganz besonderes, ein Moment den man mit Angst und Sehnsucht erwartet. Die Angst ihm möglicherweise weh zu tun und die Sehnsucht diesen Babygeruch zu riechen. Etwas, was bei einer normalen Geburt absolut ... ja... normal ist, wurde auf der Intensivstation zwischen piependen Geräten und dem Geräusch von Beatmungsmaschinen zu einem Wunder. Ich weiß es jetzt noch, seine dunklen Haare waren noch ein bisschen verschmiert mit Käseschmiere und kräuselten sich ganz leicht. Er hatte noch ein leicht gelblich-bräunliche Hautfarbe und dieser Körperflaum der ja zwei-drei Wochen vor der Geburt im Mutterleib abfällt bedeckte ihn vollständig. Er hatte große dunkle Augen, einen kleinen zarten Mund und eine ganz kleine Stupsnase. Das größte an diesem Kind waren definitiv die Füße. Haben Sie "Der Hobbit" geguckt und mal die Füße gesehen? So sah das bei unserem Sohn auch aus. Definitiv vom Vater geerbt ;-)





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