Freitag, 12. Juni 2015

Löwenherz!

Gestern waren wir bei der OP-Nachkontrolle und wir sahen zum ersten Mal die Narbe die vom Stoma zurück bleibt. 

Ich bin ganz ehrlich, ich bin schon sehr verunsichert ohne Stoma. Der Stoma konnte mir immer zeigen wenn was nicht stimmte. War der Stuhl farblos - es stimmt was nicht. War kein Stuhl vorhanden - es stimmt was nicht. Es gibt so viele Anzeichen die man alleine am Stoma ausmachen kann, wenn etwas nicht stimmt. Normale Kinder haben auch nicht jeden Tag Stuhlgang, also wie soll ich damit umgehen wenn das bei uns auch passiert? Normal klingeln immer meine Alarmglocken wenn nichts in der Windel ist. Diese Notfallsituation hatten wir schon mal, sie hat mich nicht nur geprägt sondern auch geschädigt. Ich träume jede Nacht von diesem Notfall, jedes Mal mit Tränen im Gesicht. Dann schaue ich in das Babybettchen und stelle erleichtert fest das es wieder nur ein Traum war.

Ich kann mich noch sehr gut dran erinnern... Wir wollten uns gerade fertig machen und einkaufen fahren, als mein Partner den Kleinen wickelte. Er rief mich besorgt ins Kinderzimmer und zeigte auf den Bauch. Der Bauch hatte sich innerhalb zwei Stunden massiv verändert. Schwarze Venenzeichnung und aufgequollen wie der Bauch einer Schwangeren. Der Kleine rührte sich nicht, wirkte schon fast ohnmächtig. Eventuell war das vor dem Wickeln schon so, da er aber gerade 1,5 Monate alt war, hielten wir es für das typische Schlafverhalten eines Neugeborenen. Wir entschieden schnell "mal eben kurz" in die Klinik zu fahren, wir gingen von Blähungen aus. In der Klinik legten sie sofort Infusionen und verlegten uns in die Kinderklinik...Und dann passierte erstmal nichts. Ich saß dort und heulte mir die Augen aus, ich war so müde von diesen ständigen Klinikaufenthalten, dieser Hoffnung wenn man ihn mit nach Hause nahm, das endlich wieder alles gut war. Und dann die Enttäuschung, das es ihm eigentlich nicht gut ging. Gegen 15 Uhr fing er an Stuhl zu brechen. Erst wenig, dann viel. Er pupste auch durch den Mund. Aber er regte sich kaum noch. Wir klingelten besorgt nach den Schwestern, die uns nur belächelten. So wie ich gerade darüber schreibe werde ich schon wieder sauer. Diese Mitarbeiter haben die Situation total verkannt und das werde ich denen NIE verzeihen!! Als er nur noch im Schwall erbrach, durch die Nase und den Mund stellte man die Infusionen einfach hoch und schickte uns dann um 19 Uhr (!!) eine Assistenzärztin die uns beleidigte. Als hysterische und überdramatische Eltern. Das sei normaler Reflux. Sie wissen gar nicht, wie ich ausgeflippt bin. Dort liegt ein 2kg Baby, mit 1,5 Monaten, einer Körpertemperatur von 35 Grad und kotzt Stuhlgang. Was zum Geier sollen diese Beleidigungen!? Wieso unternahm man nichts? Am nächsten Morgen (!!!!!) ließ man sich überreden den Kleinen mittels einer Röntgenuntersuchung zu checken. Oh Wunder, ein Darmverschluss. Nachmittags um 15 Uhr (!!!) kamen dann auch mal die Oberärzte und quasselten Dummzeug. Der Chefarzt entschied dann als erster richtig und ließ ihn auf die Intensivstation verlegen. Ich bin innerlich verzweifelt...Also doch eine Notsituation. 

Spätabends kam unsere Kinderchirurgin außerdienstlich auf die Station und untersuchte ihn. Es war schnell klar das er operiert werden musste, auch wenn man das vermeiden wollte.
Jede Manipulation im Bauchraum bringt Briden (Verwachsungen) und genau diese Briden können widerrum Verschlüsse auslösen. So wie bei unserem Sohn in dem Fall.
Ich ging einfach in die Knie, ich war einfach nicht mehr stark genug. Ich saß dort auf der Treppe mit dem Telefon in der Hand und weinte einfach nur. Was zur Hölle ist daran gerecht wenn ein so kleiner Wurm durch die größte Scheiße geschickt wird und ich als Mutter nichts unternehmen kann?

Man versuchte die OP als letztmögliche Option zu nutzen, aber es wurde schnell klar, das der Darmverschluss sich nicht von alleine lösen würde. So wurde er dann am 21.01.15 operiert. 

Mir stand nun der härteste Gang meines Lebens bevor. Meine rechte Hand umschloss die kleinen Finger meines Sohnes, der sich kaum rührte. Wie ohnmächtig ging ich neben seinem Bettchen her, bis zu der roten Linie, wo die Patienten in die Operationsräume geschoben wurden. Alle schauten mich mitleidig an, doch das half mir nicht. Ich konnte keine einzelne Träne halten, ich heulte das ganze Bettchen nass als ich mich von ihm verabschiedete. 
Mein Sohn hat eine Spieluhr, einen kleinen Esel. Den habe ich in der Schwangerschaft immer auf den Bauch gelegt. Ich zog ihm die Spieluhr auf und hörte die Melodie bis sich die Türen schlossen, als sie ihn wegfuhren. Das war der Moment wo meine Knie wieder versagten. Mein Partner stützte mich, aber auch er weinte. Arm in Arm, uns gegenseitig stützend verließen wir das Gebäude und setzten uns einfach raus. Wir wollten stark sein und gute Eltern. Kämpferische Eltern, die wie ein Fels in der Brandung alles überstehen. Wir wurden irgendwann in die Warteräume der Operationsstation gesetzt und gingen den Flur hoch und runter wie die Tiger in Käfigen. Um halb 7 abends kam der erlösende Anruf, es war alles gut gegangen. 

Sie nahmen den kompletten Darm raus, leerten ihn, säuberten ihn und legten ihn neu ein. Sie bauten ihm eine Santulli-Fistel (im anderen Posting erklärt). Als wir ihn auf der Intensivstation besuchten rutschte mein verdammtes Herz in die Hose. Er wurde beatmet und lag im künstlichen Schlaf. Er bekam Fentanyl um keine Schmerzen zu haben. Und am nächsten Tag passierte dann folgendes...

Sein Puls rutschte auf 100, auf 90, auf 70, auf 60, auf 50. AF/Atemfrequenz 0 .. Ich schaute total ungläubig auf den Monitor. Und dieses Kind holte keine Luft. Sein Brustkorb ging weder hoch noch runter. Ich glaub, ich hab total schlimm ausgesehen. Und dann brach bei mir Panik aus, alle Geräte klingelten und das einzige was ich dachte..."Dein Kind stirbt vor deinen Augen, verdammt" Die Schwestern, die tagtäglich diese Situationen erlebten, stimulierten ihn ein wenig mit leichten Massagen auf dem Brustkorb. Dann erholte er sich. Um dann zwanzig Minuten später wieder abzufallen. Das war dann der Moment wo ich wieder anfing zu rauchen. Ich saß zitternd vor dem Klinikeingang...Ich bin später noch alleine mit dem Zug nach Hause gefahren, ich weiß bis jetzt noch nicht wie ich das geschafft habe. 

Nachts um 1 Uhr rief man mich an und sagte, das er sich total stabilisiert hat und nicht mehr beatmet wird. 

Diese Zeit wird mich nie wieder loslassen, ich glaube ich werde lang daran arbeiten müssen.
Natürlich gibt es Eltern die erleben viel schlimmere Sachen mit ihren Kindern, aber mal ehrlich..Das reicht mir schon, was wir durchgemacht haben. Seitdem ist sein Spitzname 

Löwenherz 

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